"Ein sich betäubender Konsum und eine sich betäubende Askese haben das gleiche Ziel. Das Sich-Vollstopfen dort und das Sich-Entleeren hier, im handgreiflichen Sinne und im sublimen, sind beides nur Versuche des enttäuschten Selbst, sich vor Enttäuschung zu bewahren, und auf dem Weg der Selbstverstümmelung, den sie beide beschreiten, werden sie von den Protesten nur bestärkt, die das Mißlingen des Versuchs einem mangelnden Rigorismus der Ausführung zur Last legen."
Klaus Heinrich, Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen, 45

Die einen umgeben sich mit Dingen, unter denen sie sich zunehmend begraben, oder sie jagen Erlebnissen hinterher, indem sie so oft wie möglich verreisen und kein kulturelles Ereignis ungenutzt verstreichen lassen wollen. Die anderen wollen die Fülle der Lebensmöglichkeiten entleeren, indem sie möglichst auf Dinge und Unternehmungen verzichten. Beides – Gier und Askese – ist Ausdruck einer Abwehr von Enttäuschung. Denn niemals ist das, was wir bekommen, das was wir gewollt haben, immer ist es etwas anderes. Enttäuschung zeichnet den Menschen aus und macht aus ihm ein Suchtwesen.



Heinrich, Klaus: Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1964